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Flugplatz Hahn im Sinkflug

Hahn / Mainz. Kurt Beck, SPD-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, unter Druck: Die Opposition im Mainzer Landtag plant wegen der Nürburgring-Pleite kommende Woche ein Misstrauensvotum. Der Defizit-Flughafen Frankfurt-Hahn könnte zur nächsten Problembaustelle werden. Fragen und Antworten:


Warum ist plötzlich von Pleitegefahr für Frankfurt-Hahn die Rede?

Weil ein Ex-CDU-Minister aus Hessen davon in einem Zeitungsinterview gesprochen hat. Das dürfte auch als Vorlage für die CDU im Mainzer Landtag gedacht sein, die den SPD-Regierungschef derzeit in die Zange nimmt. Kein Wunder, dass Becks Verkehrsministerium das mit der Pleitegefahr anders sieht - schwierig werden könne 2013 die Lage aber schon, heißt es dort.


Was hat Hessen mit dem Flugplatz im Nachbarland zu schaffen - außer dass der Frankfurt im Namen hat?

Hessen ist mit 17,5 Prozent an der Betreibergesellschaft beteiligt, Rheinland-Pfalz mit 82,5 Prozent. Darin steckt auch der Zweidrittel-Anteil des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport, der 2009 in Hahn ausgestiegen ist.


Der Name Frankfurt durfte bleiben?

Der ist vor allem ein Reklametrick, der Hahns Hauptnutzer zugutekommt, dem Billigflieger Ryanair: Kaum jemand will in Lautzenhausen oder Büchenbeuren landen - so heißen die Nachbardörfer der Hunsrück-Piste. Hahn und Frankfurt trennen tatsächlich 120 Kilometer sowie eine Landesgrenze. Das nennen manche Kundentäuschung: 2001 hatte Lufthansa gegen das "Frankfurt" in Frankfurt-Hahn geklagt - letztlich erfolglos.


Und was ist mit den Finanzproblemen?

Hahns Passagierzahlen schrumpfen seit Jahren - von über vier Millionen 2007 auf unter drei Millionen 2011. Die Fracht nahm stetig zu. 2012 schrumpft auch sie im Sinkflug - um 28 Prozent im ersten Halbjahr. Im Vorjahr verbuchte die Flughafengesellschaft ein Minus von 10,6 Mio. Euro. Der reine Flugbetrieb, heißt es in Mainz, schreibe aber schwarze Zahlen.


Wie sieht es mit Arbeitsplätzen am Flugplatz aus?

Werden ständig mehr, liest man auf der Hahn-Homepage. Tatsächlich sind sie seit 2008, das zeigt dieselbe Seite weiter unten, von knapp 3300 auf 3031 im vergangenen Jahr gesunken. Verkehrsministers Roger Lewentz (SPD) zählt großzügiger: "Insgesamt ist der Hahn eine Erfolgsstory mit 11 000 Arbeitsplätzen." Rheinland-Pfalz will den Platz dennoch am liebsten an Investoren loswerden.


Wer steckt Geld in eine Piste, die weder per Autobahn noch per Bahn erreichbar ist?

Über Privatisierungseinnahmen wird nicht geredet. Im Gegenteil: "Wir wollen die Braut aufhübschen", sagt Minister Lewentz. Das Land wolle die Flughafengesellschaft von Ausgaben etwa für Straßen und Abwasserentsorgung am ehemaligen US-Fliegerhorst befreien. 2011 hatten Manager des Flughafens 25 Mio. Euro für eine Hahn-Mehrheitsbeteiligung geboten. Geschäftsführer Jörg Schumacher hat kürzlich sein Kaufinteresse erneuert.


Wer nutzt Hahn eigentlich?

Bei Passagierflügen zu mehr als 90 Prozent Ryanair, daneben Frachtmaschinen und Truppentransporter der US-Armee. Hahns großes Plus ist eine Rund-um-die-Uhr-Betriebserlaubnis für die 3800 Meter lange Piste: Man würde gern vom Nachtflugverbot in Rhein/Main profitieren, Nachtflüge oder besser noch komplette Airline-Standorte dort wegholen - bislang erfolglos. Und ruhebedürftige Anwohner, die nicht mehr als vier, fünf Flugbewegungen zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens wollen, gibt es im Hunsrück auch.


Bundesweit gelten Provinzpisten als Subventionsgräber - wie ist das bei Hahn?

Nicht anders. Seit 2006 sind Klagen von Konkurrenten anhängig, die dem Flugplatz unzulässige Marketingzuschüsse und Millionen-Rabatte für Ryanair vorwerfen. Seit 2011 prüft die EU, ob Rheinland-Pfalz mit unzulässigen Darlehen dem Flugplatz unlautere Vorteile verschafft hat. 2003, als man noch von bis zu 15 Millionen Passagieren bis 2015 träumte, wollte Hessens Landtag den Transrapid nach Hahn - und 1,75 Mrd. Euro dazu vom Bund.


Kann Hauptnutzer Ryanair nicht finanziell zusteigen?

Kein Interesse, sagte Ryanair-Chef Michael O’Leary im Mai. Das Geschäftsmodell des Iren sieht anders aus. Billigflieger seien wie ein Wanderzirkus, sagt der Erfurter Verkehrsforscher Matthias Gather: "Sie ziehen immer dorthin weiter, wo sie günstigere Bedingungen finden oder neue Passagierpotenziale." Uwe Diederichs-Seidel, Vizechef der in Rheinland-Pfalz mitregierenden Grünen, ist der Hahn auch nicht ganz geheuer: "Irgendjemand zahlt immer. Wenn ich für 30 Euro nach Valencia fliegen kann, zahlen die Umwelt und die Servicekräfte, die die Maschinen zu Niedriglöhnen saubermachen."











(Hessische/Niedersächsische Allgemeine vom 26.08.2012)