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Alle hierbleiben!
Die Ära des Billigflugs neigt sich dem Ende zu. Mobil zu sein, wird wieder teurer. Das hat Folgen für unser Berufs- und Liebesleben. Von Martin Helg

Die Freiheit war flüchtig wie ein Flügelschlag. Samstags rasch nach Riga geflogen, lettisches Bier in der Sky-Bar getrunken, Hauch eines Ferien-Flirts. Zurück nach Frankfurt-Hahn für 4 Euro 99. Es war die Freiheit des Billigflug-Zeitalters, und sie endete in Flug-Abfertigungshallen, in Girona oder London Stansted, unter schwitzenden Menschen, die in Träger-Shirts und Flip-Flops auf ihren Airbus nach Zürich warteten und solange über Warteschlangen und andere Passagiere schimpften, bis einem rosagesichtigen Krawatten-Träger der Kragen platzte und er schnaubte: «Höchste Zeit, dass Fliegen wieder teurer wird.»

Die Zeit ist gekommen. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Ticketpreise massiv gestiegen und werden weiter steigen. Mehr noch: Erstmals seit der Erfindung der Eisenbahn wird Mobilität überhaupt wieder teurer. Es ist, als höre die Erde plötzlich auf, sich unter uns hinweg zu drehen, als rücke Riga zurück an die Ostsee, während Perpignan wieder irgendwo im Süden verstaubt. Keine Strandparty am Golfe de Lyon dieses Jahr! Das Weihnachtsshopping in New York fällt auch ins Wasser. Der grosse geografische Schrumpfprozess, vor gut 500 Jahren vom Genueser Seefahrer Kolumbus in Schwung gebracht, stockt.

Der Wandel ist einschneidend und für manche bedrohlich. Für die Tourismusindustrie werde er schlimmer als die Folgen des 11. September, sagte der TUIfly-Geschäftsführer Roland Keppler gegenüber der Wochenzeitung «Die Zeit». Stimmen die Prognosen der Mobilitäts-Forscher, so gehen vor allem die «Just-for-Fun-Reisen» zurück; der Coiffeur-Besuch in London wird wieder zur Ausnahme, den Tagesausflug nach Mallorca will sich niemand mehr leisten.


Neue Lebensmuster


Vieles deutet zudem darauf hin, dass die Krise der Billig-Luftfahrt nur der Ausläufer einer umfassenderen Entwicklung ist, die unser gesamtes Mobilitätsverhalten verändert. «Der Gewinner der Benzinpreisentwicklung wird das Fahrrad sein», sagt der deutsche Mobilitäts-Spezialist Andreas Knie. «Wenn der Ölpreis langfristig weiter steigt, wird das auf andere Verkehrsmittel durchschlagen», meint auch Thomas Bieger, Touristik-Experte an der Hochschule St. Gallen. Die Verteuerung des Fliegens und Autofahrens könnte auch die Bahn an Kapazitätsgrenzen bringen, sie könnte auch deren Kosten in die Höhe treiben, so dass am Ende ganze Lebensmuster überdacht werden müssten: «Unser Konzept, an einem Ort zu wohnen und an einem andern Ort zu arbeiten, wird irgendwann an Grenzen stossen.»

Dass sich dies auf die Berufskarriere, die Haushaltsorganisation und sogar auf das Liebesleben auswirkt, liegt auf der Hand. Nach Schätzung von Marktbeobachtern pendeln zurzeit Hunderttausende von Europäern per Flugzeug zwischen Arbeit und Liebe. Ebenso steht ausser Frage, dass es den jugendlichen Flip-Flop-Träger früher trifft als den Geschäftsmann und professionellen Vielflieger. Die Masse der Freizeitausflügler, die sich vor 20 Jahren noch kaum einen Ferienflug leisten konnte, wird auch als erste wieder aus den Flughäfen getrieben. Die Demokratisierung der Luftfahrt - durch Marktöffnung ermöglicht, durch Billig-Airlines ins Werk gesetzt - muss unweigerlich zum Halt kommen, wenn eine Tankfüllung für die Strecke Basel-Neapel plötzlich mehr als doppelt so viel kostet wie drei Jahre zuvor.

Die allgemeine Gereiztheit in den Flug-Abfertigungshallen zeigt, dass der Selektionsprozess im vollen Gang ist. Das Volk murrt, schon wieder hat ein Trip mehr gekostet als in der Vorwoche! Dabei sparen die Fluggesellschaften, wo sie nur können. Sie rationieren das Wasser in den Bordtoiletten, drosseln die Fluggeschwindigkeit, und manche Stewardessen müssen ihre Uniformen angeblich selber zahlen. Auf Schweizer Flughäfen ist der Kerosinverbrauch zwischen 2000 und 2005 von 1,54 Millionen Tonnen auf 1,15 Millionen Tonnen zurückgegangen und die Zahl der Starts und Landungen von 537 000 auf 418 000.

All diesen Massnahmen zum Trotz wird der Preiskampf letztlich verloren gehen. «Die Billig-Airlines werden die Kapazitäten verringern, ein Teil des Verkehrs wird in sich zusammenbrechen», sagt Touristik-Spezialist Thomas Bieger. Schon haben einige Fluggesellschaften ihre Flotten reduziert bzw. Reduktionen angekündigt. Germanwings legt diesen Winter vier Flugzeuge ein, Air Berlin vierzehn. Wer Lust hat, Cluj-Napoca zu besuchen, Haugesund und Småland, Balaton, Arad, Pau oder Oulu, tut gut daran, noch diesen Sommer zu fliegen.


Veränderte Landkarten

Solche unscheinbaren Winkel Europas sind zu Symbol-Orten der totalen Mobilität geworden. Es sind touristische Drehkreuze, die nur dank Billigflügen überhaupt entstanden sind und nur besucht werden, weil sie besucht werden können. Bald fallen sie wieder von der Flugkarte, was die nachgelagerten Industrien zu spüren bekommen werden: Taxifahrer, Autoverleiher, Postkarten- und Wurstverkäufer. Hotels und Pensionen werden schliessen, aber der Ärger der Betreiber wird unbemerkt verrauchen, denn das Bedürfnis der Menschen, nach Pau und Oulu zu reisen, wird zusammen mit dem Angebot aus den Köpfen verschwinden.

Zu den Flughäfen, die die irische Billigflug-Pionierin Ryanair schon nächsten Winter nicht mehr anfliegt, zählen aber auch ehrwürdige Kulturstädte wie Valencia und Basel. Auch sie werden künftig auf einige Tausend britische Party-Hopper verzichten müssen, nur macht es ihnen weniger aus. Basel könnte stattdessen mehr Besuche von Zürchern erhalten, von ehemaligen Vielfliegern im Ruhestand, die neuerdings aus Preisgründen auf das Manu-Chao-Konzert in Barcelona verzichten oder auf «Così fan tutte» in Prag.

Der Airbus hat unterdessen abgehoben. Der Krawatten-Träger schimpft weiter vor sich hin, weil er den Winkel seiner Sitzlehne nicht verstellen kann. Bald wird er mehr zahlen, dann klappt das vielleicht. Die Sommerfrischler in den Flip-Flops schauen wehmütig auf die Wolken hinab. Für sie heisst es Abschiednehmen - von Warteschlangen, Sonnenbränden, lettischen Sky-Bars. Die nächste Sommerparty wird wieder daheim auf dem Dachgarten steigen.

(Neue Züricher Zeitung vom 26.07.2008)