Zurück zur Übersicht

drucken

Lebkuchen fliegen um die Welt

Lufthansa Cargo transportiert jede Fracht um den Globus / Zustellservice binnen 24 Stunden boomt / Absatzmarkt in Asien wächst

VON WOLFGANG SCHUBERT

Zwischen den trist-grauen Betonsäulen und dem abgewetzten Hallenboden geht es zu wie in einem Termitenhaufen. Mehr als 100 Gabelstapler schnurren durch die Gänge und kreuzen die Wege der Elektrokarren, die mal drei, aber auch mal sechs oder sieben Gepäckkarren hinter sich her schleppen, vollbepackt mit Luftfracht-Paletten. In der riesigen Cargo-Halle der Lufthansa auf Rhein-Main herrscht zwei Wochen vor Weihnachten noch immer Hochbetrieb.

"Es brummt zurzeit", sagt Nils Haupt, Sprecher der größten Luftfracht-Gesellschaft der Welt, deren Hauptumschlagplatz der Frankfurter Rhein-Main-Flughafen ist: "Die Flieger sind derzeit voll." Besonders die, die aus Asien einschweben und für den hiesigen Markt Nachschub an Handys, Computer und elektronischem Zubehör heranschaffen. Vergangene Woche, sagt Haupt, sind aus Singapur zwei riesige Boeing 747-Frachter in Frankfurt eingetroffen, die bis unters Dach mit Handys beladen waren.

Für andere Produkte ist die Saison allerdings bereits gelaufen. Von Nürnberg per Lastwagen angeliefert, sind Tonnen an Lebkuchen über Rhein-Main längst in Taipeh, Tel Aviv und sonstige Teile der Welt gegangen. Auch der Beaujolais Primeur dürfte von den Käufern in Tokio, New York, Moskau oder Kuala Lumpur längst geköpft sein. In diesem Jahr ist die Rekordmenge von 1060 Tonnen des jungen Weins vom Cargo-Spezialisten aus dem Lufthansa-Konzern transportiert worden. 54 Trucks haben den Primeur von Lyon nach Frankfurt gebracht. 573 Tonnen davon gingen in die USA. Es folgten Japan mit 160 Tonnen und Korea mit 90 Tonnen des begehrten Stoffs. Selbst in Taiwan ist die Spezialität hoch begehrt. Aus dem Bauch von Lufthansa-Passagierflugzeugen - rund die Hälfte der Fracht wird in Passagiermaschinen als "Beiladefracht" geflogen, die andere Hälfte in Cargo-Maschinen - wurden auf dem Flughafen der Hauptstadt Taipeh rund 31 000 Flaschen ausgeladen.

Im Cargo Center macht Karlheinz Hofmann, verantwortlich für die Import-Sendungen in der Frachthalle, gerade eine Wagenladung mit radioaktiver Fracht fertig. In der einen Tonne und den sechs grauen Plastikbehältern, die aussehen wie die Koffer schwerer Schlagbohrmaschinen, sind vermutlich medizinische Geräte, die aus den USA ans radiologische Institut des Kaiser-Franz-Josef-Spitals in Wien geliefert werden. Die "heiße" Ware war morgens mit Flug LH 441 aus Houston / Texas in Frankfurt eingetroffen und ging abends mit einem Lufthansa-Jet um 21.30 Uhr weiter nach Wien.

Die Ladung feinsten Pfeifen-Tabaks aus Montevideo in Uruguay musste dagegen eine ungewollte Zwischenstation auf Rhein-Main einlegen. Weil zwischen Ankunft der Tabak-Fracht in Frankfurt und dem Weiterflug zum Bestimmungsort Amsterdam zu wenig Zeit blieb, wurde die Sendung erst einmal zwischengeparkt.

Ein paar Meter weiter ist eine Palette für den nächsten Flug nach Bangkok längst fertig geschnürt und mit speziellen Gurten gesichert. Ein sechs Meter langes, schmales Paket ragt staksig aus der dem Flugzeugrumpf angepassten Form heraus. Der Inhalt: ein neuer Mast für ein Segelboot. Zwei weitere Kisten - alles aus Norwegen angeliefert - enthalten weiteres Schiffszubehör. Auf den Philippinen, meint Lufthanseat Hofmann, hat offenbar jemand Schiffbruch erlitten und wartet jetzt sehnsüchtig auf die Ersatzteile.

"Es gibt kaum etwas, das wir nicht transportieren", sagt Cargo-Sprecher Haupt. Die Bandbreite reicht von Automobilen bis hin zu Zoo-Tieren. Wenn ein Maybach, die neue Edel-Klasse von Daimler-Chrysler, nach Übersee verkauft wird, erreicht die Luxus-Karosse ihr Ziel mit Lufthansa Cargo. Vor eineinhalb Jahren hat sich der Frachtspezialist das Image-trächtige Geschäft per Vertrag sogar langfristig gesichert. Wenn in der Golf-Region ein Scheich auf Einkaufstour bei Daimler geht oder die Order aus den USA kommt, liefert Lufthansa die 600 000 Euro teuren Fahrzeuge.

Auch die 70 Millionen Fische, in aller Regel Zierfische, die jährlich aus Südamerika, Südostasien und afrikanischen Ländern über den Frankfurter Flughafen importiert werden, fliegen fast alle Lufthansa. Wenn in der Welt große Reitturniere anstehen oder bei Olympischen Spielen wie 2000 in Sidney um Gold, Silber und Bronze geritten wird, rüstet Lufthansa ganze Maschinen zu fliegenden Ställen um. Für die Spiele in Australien hatte das dortige Nationale Olympische Komitee gleich vier Jumbo-Frachter bestellt, um die Equipen aller europäischen Länder so schonend und komfortabel wie möglich nach Sidney zu bringen.

An Bord der Fracht-Maschinen sind in erster Linie Produkte der Automobil-Hersteller und Zulieferer, Computer, Textilien, pharmazeutische Erzeugnisse, Ersatzteile für Maschinen oder verderbliche Produkte vom lebenden Hummer bis Rosen aus Kenia. Das Geschäft, erzählt Niels Haupt, hat sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verändert: "Der Faktor Zeit ist immer bedeutender geworden." Dies gilt für den Kunden wie für das Luftfrachtunternehmen selbst. Was zählt, ist in erster Linie Tempo.

Wenn bei BMW in Südafrika eine Produktionsstraße ausfällt oder bei Daimler-Chrysler in den USA ein Band steht, weil ein Ersatzteil nicht auf Lager ist, wird per Luftfracht geordert. So schnell wie möglich. Die Frachtkosten spielen dann nur noch eine untergeordnete Rolle.

Oder: Irgendwo auf der Welt ist ein Flugzeug aus der Airbus-Flotte mit Triebwerksschaden liegen geblieben. "Wenn das für die Reparatur dringend benötigte Ersatzteil aus Frankfurt oder Toulouse eingeflogen werden muss, wird über Kosten zuallerletzt geredet", sagt Nils Haupt.

Oder die Textilindustrie: Im Frühjahr und Herbst werden eigenständige Kreationen aufgelegt und selbst in den Monaten dazwischen wird Neues auf den Markt geworfen. "Entwickelt sich bei H&M ein Artikel zum Renner und droht der auszugehen, wird in den Fabriken von Hongkong oder China umgehend neu geordert. Ware, die man dann nicht mehr mit dem Schiff transportieren kann." Würde die nach sechs oder acht Wochen in Europa ankommen, wäre der Boom vermutlich vorbei.

Inzwischen bietet Lufthansa Cargo für seine komplette Produktpalette garantierte Transport- und Zustellzeiten an. Das Prinzip: Je schneller, je teurer. Der Name: Time definite (td). Zudem nimmt die Spezialisierung ständig zu. Beim Service-Package "cool/td" garantiert das Unternehmen für temperatursensible Güter eine während der gesamten Transportkette gleichbleibende Temperatur. Dafür wurden im Herbst die unteren Frachträume der sieben Cargo-Frachter vom Typ MD 11 umgerüstet und mit speziellen Kühlcontainern versehen. "Smooth/td" ist das Angebot für erschütterungsempfindliche Güter, "Care/td" das für Gefahrgüter. Und "Td/Flash", werben die Frachtspezialisten, ist der "weltweit schnellste Express-Service für alle Güter".

Den letzten Renner bietet seit einiger Zeit die LH-Cargo-Tochter Time Matter an. Sie garantiert die Zustellung besonders eiliger Sendungen noch am selben Tag. "Wenn bis 19 Uhr ein Vertrag noch in einer Anwaltskanzlei in London sein muss oder das Modell eines Architekturbüros so schnell wie möglich nach New York gebracht werden muss, machen wir es möglich", beteuert Cargo-Sprecher Haupt. Wenn gewünscht, stellt Time Matter sogar eine Begleitperson, die das eilige Stück begleitet. Geflogen wird wegen der Dringlichkeit und des dichten Flugplans dabei ausschließlich in Passagiermaschinen. Haupt wagt die Prognose, dass das "same-day-Produkt", also die Zustellung am selben Tag, das Produkt mit den größten Zuwachsraten sein wird. "Ich rechne mit einem jährlich zweistelligen Wachstum."

Geändert haben sich in den vergangenen 20 Jahren auch Herkunft und Ziel der Frachtströme. Während vor 20 Jahren noch der Warenaustausch mit Nordamerika an erster Stelle gestanden hat, hat diese Position längst der Raum Asien/Pazifik eingenommen. Im Jahr 2002 hat LH Cargo 45 Prozent seiner Erlöse in Asien und den Pazifikstaaten erzielt - bei steigender Tendenz. 20 Prozent entfielen noch auf die Strecken im Nordatlantik-Verkehr, 14 Prozent auf den Markt Deutschland/Europa, 21 Prozent verteilten sich auf den Rest der Welt. In Zukunft, sagt Haupt, wird Asien als Folge enormer Wachstumsraten insbesondere des chinesischen Marktes noch bedeutender.

(Frankfurter Rundschau vom 11.12.2003)