Der Kampf beginnt!

Zurück zur Übersicht

drucken

F L U G L I N I E N

Tarife im Sinkflug

Traditionelle Fluggesellschaften wie Lufthansa und British Airways wollen mit Schnäppchenangeboten die Billigflieger kleinhalten

Von Jens Flottau

Die ersten Gehversuche im Neuland waren kaum zu bemerken. Vor ein paar Monaten tat sich dem Internet-Surfer auf der Homepage der Lufthansa plötzlich so etwas wie Transparenz auf. Man kann seither jeweils für eine bestimmte Ticketkategorie auf einer Seite überblicken, welche Flüge noch zu haben sind und welche nicht oder nur zu einem teureren Preis. Zwischen den Angeboten fanden sich plötzlich günstige Verbindungen wie die von München nach Berlin für 167,67 Euro - ohne den bisher bei solchen Schnäppchenpreisen obligatorischen Mindestaufenthalt über den Samstagabend.

Mittlerweile aber ist die Sache offiziell. Die Lufthansa lässt bei innerdeutschen Flügen außerhalb der Hauptverkehrszeiten viele der Restriktionen wie Mindestaufenthalt und eine lange Vorausbuchungsfrist fallen, die bislang vielen Geschäftsleuten ohne großes Reisebudget Kurztrips schier unmöglich gemacht haben. Jetzt muss der Reisende nur spät genug aufstehen, um den Hinflug nicht vor 10 Uhr anzutreten und nachtaktiv sein (wegen des Rückflugs nach 20.30 Uhr), rechtzeitig buchen und das Glück haben, dass das Billigkontingent auf den gewünschten Verbindungen noch zu haben ist. Die Preise liegen bis zu 63 Prozent unter dem Vollzahlertarif in der Economy Class.

Lufthansa-Chef Jürgen Weber hatte zwar jüngst auf der Hauptversammlung seines Unternehmens behauptet, die Offensive der Billigflieger mache ihn nicht nervös. Aber er schließt sich mit dem Schritt im Prinzip dem an, was die Kollegen bei SAS Scandinavian Airlines, British Airways und BMI British Midland mit leichten Variationen vormachen. Doch während die dominierende Fluggesellschaft in Deutschland die neue Tarifstruktur bis jetzt nur auf einem kleinen Teil ihres Streckennetzes anbietet, schlagen British Airways und BMI British Midland richtig zu: BA verlangt auf 71 Strecken im Inland und nach Kontinentaleuropa keinen Mindestaufenthalt und keine Vorausbuchungsfristen mehr. Die Tarife, die bei 59 Pfund im Inland und 69 Pfund auf internationalen Strecken beginnen, richten sich ausschließlich nach der Nachfrage. Zu Stoßzeiten bleibt das Fliegen unverändert teuer, aber wer bereit ist, auf den traditionell verkehrsschwachen frühen Nachmittag oder die Wochenmitte auszuweichen, der kann ordentlich Geld sparen. Die 71 Strecken machen etwa ein Drittel des Europanetzes aus, aber BA plant, das neue System in den kommenden Monaten auf allen europäischen Routen anzuwenden.

Auch die TUI will mitmischen

BMI British Midland, an der die Lufthansa und SAS Scandinavian Airlines mit jeweils 20 Prozent beteiligt sind, hat eine dem BA-Modell ähnelnde Struktur gleich auf das gesamte Streckennetz angewandt - allerdings nicht auf die Deutschland-Flüge. SAS hat auf den innerskandinavischen Strecken die Business Class gestrichen und das traditionelle Tarifsystem durch ein transparenteres, gestaffeltes Modell ersetzt.

Das taktische Spielchen ist leicht durchschaubar. Die traditionellen Fluggesellschaften reagieren mit ihren Initiativen auf die Billigfluglinien wie Ryanair oder easyJet, die wenig Service, aber niedrige Preise bieten. Die etablierten Airlines hoffen, dass sie ihre traditionelle Klientel mit einer Mischung aus günstigeren Preisen und den üblichen Privilegien wie Meilenprogrammen und Flughafen-Lounges für Business-Passagiere und Vielflieger halten können. British Airways und BMI British Midland müssen bereits auf einem großen Teil des europäischen und Inlandstreckennetzes mit Ryanair, easyJet, buzz oder Go konkurrieren.

Aber auch die Lufthansa muss auf die verschärfte Konkurrenz in ihrem ureigenen Terrain reagieren, vor allem auf den Relaunch der Deutschen BA. Diese hat als neuester Billigflieger das easyJet-Modell mehr oder weniger übernommen und wird möglicherweise bald von den englischen Kollegen gekauft. Noch enger wird es für Lufthansa, wenn der Hannoveraner Touristikriese TUI mit seinen gerade publik gewordenen Plänen für einen Billigableger Ernst macht.

Noch sind sich die Experten nicht einig, ob die Abwehrstrategie der traditionellen Airlines fruchtet. Für Chris Tarry, Airline-Analyst bei Commerzbank Securities, erscheinen die gezielten Billigangebote der vier herkömmlichen Fluglinien durchaus sinnvoll. Tarry sieht darin eine Chance, das Wachstum der unliebsamen neuen Konkurrenz zu bremsen. Außerdem werde es interessant sein, zu beobachten, wie die Billigfluglinien selbst mit Druck auf ihre Tarife zurechtkommen. Er glaubt, sie hätten das Potenzial für Kostensenkungen weitgehend ausgeschöpft. Gert Zonneveld (WestLB Panmure) gibt in einer jüngst erschienenen Studie jedoch zu bedenken, dass ein auf Metropolen ausgerichteter Carrier wie easyJet zwar wesentlich höhere Kosten habe als die auf preiswerte Provinzflughäfen spezialisierte Ryanair, aber immer noch deutlich unter denen der traditionellen Luftverkehrsgesellschaften liege.

Die Kundschaft hat umgedacht

Tarry zufolge reagieren die Fluglinien aber nicht nur auf die Billigflieger, sondern auch auf die Erwartungshaltung der eigenen Kunden. "Es hat eine Rekalibrierung stattgefunden. Die Passagiere sind nicht mehr bereit, die bisherigen Tarife zu bezahlen." Dies gelte sowohl für Geschäfts- als auch für Privatreisende. Aber schließlich könnten BA, BMI und Lufthansa durch die neuen Tarife die zuvor wenig genutzten Flüge besser füllen - dies bedeute mehr Umsatz bei annähernd gleichen Kosten.

Andere Luftfahrtexperten sind da skeptischer. Chris Avery, Analyst bei JP Morgan, etwa glaubt, Lufthansa und BMI British Midland würden das Problem in der falschen Reihenfolge angehen. Traditionelle Luftfahrtgesellschaften wie British Airways oder Lufthansa müssten zunächst ihre Kosten signifikant senken, bevor sie sich an die Tarife machen könnten. Es bestehe das Risiko, den durchschnittlichen Umsatz pro Flug zu senken. Die Vollzahlerpreise gerieten unter Druck, weil Geschäftsreisende auch auf Flügen, die sie sowieso nehmen würden, günstigere Tarifen bekämen, warnt Avery.

Für BMI British Midlands Chef Austin Reid war die Entscheidung, das alte System aufzugeben, "einer der wichtigsten strategischen Schritte überhaupt". Reid rechnet damit, dass die Durchschnittserlöse zunächst um einen zweistelligen Prozentsatz sinken werden. Die Rechnung ist riskant: BMI muss Wege finden, die Kosten deutlich zu senken, und gleichzeitig darauf hoffen, dass letztlich höhere Umsätze den Einbruch bei den Durchschnittspreisen wettmachen. Bei British Airways gibt es hier bereits hoffnungsvolle Signale. In einer Testphase hatte die Fluglinie die Neuerungen auf Inlandsstrecken mit Ausgangsort London getestet, die Passagierzahlen sind um 15 Prozent gestiegen.

Für Reid steht fest, dass viele in Europa BA folgen müssen, wenn die größte Fluggesellschaft des Kontinents die Tarife flächendeckend einführt und die Billigfluglinien ihr Wachstum fortsetzen. Dafür spricht vieles, und Airline-Experte Zonneveld geht davon aus, dass sie in zehn Jahren 25 bis 30 Prozent des europäischen Lufverkehrs durchführen werden. Heute sind es knapp acht Prozent.

Angesichts zusammengestrichener Reisebudgets in vielen Unternehmen könnte die Schnäppchenjagd via Internet den Wandel rascher beschleunigen, als es Lufthansa-Chef Weber lieb ist. Gut möglich, dass die zur Abwehr der Billigkonkurrenz gedachten Sondertarife dann von der Ausnahme zur Regel werden müssen.

(Artikel in der Zeit vom 08.07.2002)

Zurück zur Übersicht

www.counter-kostenlos.net