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Einmal billig und zurück

Für einen preiswerten Flug mit Ryanair pilgern Menschen durch halb Deutschland – und lernen statt Frankfurt den einsamen Hunsrück kennen

Von Gerrit Roth

Hahn – Manche nennen Ryanair den "Aldi der Lüfte". Dabei ist Ryanair nicht wie Aldi, sondern wie Ikea: Der Kunde zahlt wenig und macht selber mit. Ryanair-Passagiere müssen keine Regale zusammenschrauben. Dafür nehmen sie die Odyssee zum Start- und vom Zielflughafen in Kauf. Denn die Iren fliegen für kleines Geld von Nirgendwo nach Irgendwo. Das Nirgendwo heißt Hahn im Hunsrück, Selbstbezeichnung "Frankfurt-Hahn", obwohl es 120 Kilometer von der Mainmetropole entfernt liegt.

Die Ziele, die Ryanair seit Februar 2002 von Hahn aus ansteuert, sind überwiegend ungewöhnlich, um es vorsichtig zu sagen. Um möglichst wenig für Start und Landung zu zahlen, fliegen die Iren Kleinflughäfen an, die meist abseits der bekannten Ziele liegen. London, Glasgow und Oslo sind Ausnahmen. Mailand, Pisa und Montpellier sind zumindest als Städte bekannt. Aber wo um Himmels willen liegen Bournemouth, Girona, Perpignan oder Shannon? Irgendwo in England, Spanien, Frankreich und Irland.

In diesem Jahr sind bereits über eine Million Menschen von oder nach Hahn geflogen. Der Praxistest zeigt: Ryanair ist billig, aber oft alles andere als leicht zu haben. Buchen kann man eigentlich nur im Internet, denn die 0190- Nummer ist schlecht erreichbar. Der einfache Flug nach Pisa in drei Wochen für 28 Euro, das hört sich doch gut an. Leider soll der Rückflug etwas mehr kosten. Erst einige Trickserei bringt das Schnäppchen. Getrennt gebucht, kostet der Rückflug nur 99 Cent plus 22 Euro Gebühren. Macht hin und zurück genau 51,06 Euro.

Also auf nach Hahn! 30 Kilometer vor dem Ziel ist die Autobahnreise beim Örtchen Rheinböllen zu Ende. Das Radio beginnt zu rauschen. Die Landschaft wandelt sich in eine baumlose, nur dünn besiedelte Steppe. Auf der Bundesstraße geht es zunächst zügig voran, bis Baustellen und Traktoren den Verkehr bremsen. Schier endlos zieht sich der Weg durch die Einsamkeit. Um Ungeduldige bei der Stange zu halten, zeigt an jeder Kreuzung ein Schild die Entfernung zum Flughafen an. Zwischen Lautzenhausen, Büschenberg und Bärenbach schließlich der Flughafen Hahn. Suchscheinwerfer durchschneiden den Himmel.

Die Vergangenheit des einstigen Militärflughafens ist allgegenwärtig. Zuletzt 1993 dröhnte hier eine Staffel US-Kampfflugzeuge vom Typ F-16. Noch immer tragen die Hangars Tarnanstrich. Hier und dort kräuselt sich Stacheldraht. Tausende von Autos, so weit das Auge reicht, abgestellt in scheinbarem Chaos. Auch zu früher Stunde – fünf Uhr – sind die Gratis- Parkplätze voll. Drei Euro pro Tag würde es weiter vorne kosten. Nein, wenn schon sparen, dann richtig. Beim "Elektronik Lagerverkauf" ist doch noch ein Plätzchen frei.

Zwei Stunden zum Main

Es weht ein eisiger Wind, Markenzeichen der Gegend. Niemand ist zu sehen. An verwaisten Gleisen entlang geht es in Richtung Terminal. "Wir fordern den Transrapid" steht auf einem Schild. Sehr lustig. Es wäre schon schön, wenn wenigstens eine Bummelbahn hierher fahren würde. Bislang fahren nur Busse, die von "Frankfurt-Hahn" nach Frankfurt am Main fast zwei Stunden brauchen.

Wenigstens das Abfertigungsgebäude wirkt professionell. Obwohl die beiden Eingänge kaum 30 Meter auseinander liegen, steht über dem einen "Ankunft", über dem anderen "Abflug". Neben der Treppe trotzt eine Katze der kühlen Brise. Innen alles ganz modern. Obwohl gerade erst gebaut, ist die Halle schon wieder zu klein, eine weitere soll ausgebaut werden. Check-In- Schalter gibt es nur von Ryanair, die gegenüber liegende Seite ist von Autovermietern belegt. Mitten im Hunsrück schnuppert der Ankömmling hier die Atmosphäre der großen weiten Flughafenwelt. Am Schalter gibt es als Ticket eine "Bordkarte": Ein in Plastik eingeschweißtes, blau-grünes Pappkärtchen, auf dem in großen Buchstaben das Wort "Pisa" steht und das die Passagiere später wieder abgeben müssen. Platznummern gibt es nicht, jeder sucht sich seinen Sitz, und wer zuerst kommt, sitzt am besten. Drängeln ist bei Ryanair Programm.

Dass es bei der so genannten no frills (kein Schnickschnack)- Gesellschaft keine kostenlose Bordverpflegung gibt, hat sich herumgesprochen. Also schnell noch zum Bäcker, den immerhin gibt es in Hahn. Dort schäkern die Stewardessen mit den irischen Piloten. Alles ganz familiär. Eine halbe Stunde vor dem Abflug beendet der Aufruf des Fluges die Gemütlichkeit. Jetzt ist Schluss mit dem Gefühl der Einsamkeit: Heerscharen Reisender drängen sich durch die Sicherheitskontrollen. Am Gate angekommen – es gibt derer immerhin vier – stellen sich die Passagiere schon in einer weiteren Schlange auf, obwohl die Tür zum Rollfeld noch geschlossen ist.

Einen Bus gibt es nicht, den Weg zur Maschine gehen die Fluggäste zu Fuß. Ob die Mitreisenden wegen der Kälte so hasten oder weil sie einen guten Platz ergattern wollen, bleibt unklar. Stahlgitter säumen den Weg zum Flugzeug, einer Boeing 737. An der Maschine weist eine Art Bushaltestellenschild mit der Aufschrift "Pisa" auf das Flugziel hin. Der Flug ist bis auf den letzten der 189 Sitze ausgebucht. Es haben noch nicht alle Platz genommen, da beginnt die Kabinencrew schon mit der Verkaufsveranstaltung. Auf englisch – deutsche Stewardessen sind Mangelware – preisen sie das Angebot wie bei einer Butterfahrt. Essen, Getränke, Parfum, Telefonkarten.

Dass niemand etwas kauft, scheint die Stewardessen nicht zu überraschen. Als es doch jemand tun will, muss die Flugbegleiterin erst ihren Geldgurt holen, dann auch noch das Wechselgeld. "Die Sachen sind für Briten und Iren billig, aber für viele Deutsche einfach zu teuer", gibt eine Stewardess zu. Dass das Bier extra für deutsche Reisende von 3,50 auf 3 Euro verbilligt wurde, hat den Konsum auch nicht angekurbelt. Immerhin: Bald sollen zumindest die Preise im Hochglanzprospekt auch in Euro statt nur in britischen Pfund angegeben werden.

Trost in der Fremde

Die meisten Reisenden sind augenscheinlich Touristen. Dass es dennoch nicht so fröhlich zugeht wie bei einem Charterflug, zeigt sich spätestens, als trotz weicher Landung niemand applaudieren mag. Von weit her haben viele den Weg nach Hahn angetreten. Das ältere Ehepaar aus Wuppertal tankt im Kurzurlaub Kultur, die Studentinnen aus Würzburg wollen die Toskana kennen lernen. Sogar aus Berlin und dem französischen Straßburg reisen manche an, um von Hahn aus die Ferne zu suchen.

Umgekehrt fliegen auch aus den Zielländern Ausländer nach Hahn. Noch immer denken manche Geschäftsleute, sie seien in Frankfurt gelandet. "Die müssen wir dann trösten", schmunzeln die Damen von der Touristen-Information. Den Ausländern, die hier bleiben möchten, geben sie Prospekte über Burgen, die Mosel und den "Romantischen Rhein". Die meisten hält es jedoch nicht im Nirgendwo. Sie brechen schnell auf: Über die Landstraße zurück in die Zivilisation.

Originalbericht aus der Süddeutschen Zeitung

(Süddeutsche Zeitung vom 05.10.2002)

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