Gut, dass die Städter nicht überheblich sind!

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Nix wie Ryan

Für 25 Euro nach London jetten, für 20 Euro nach Südfrankreich. Ryanair macht's möglich. Aber wie, um Himmels willen? Ein Testflug.

Von Bernd Volland

Was verschwendet man nicht alles, um zu sparen? Zeit zum Beispiel. Es ist ein trüber Donnerstagvormittag, 10.30 Uhr, Mannheimer Straße am Frankfurter Hauptbahnhof, gleich neben dem blauen Glascontainer. Über viereinhalb Stunden bis zum Flug, der Schweiß läuft, der Puls rast. Man ist gerannt, ist spät dran. Abflug erst um 15.05 Uhr von "Frankfurt-Hahn-Airport" und dennoch sollte man den Bus jetzt nicht verpassen. Den Zubringer ins Sparreiseglück: zum Flug FR 9072, Ryanair. "Aldi der Lüfte" wird Ryanair genannt, Europas günstigste Fluglinie nennen sich die Iren selbst. Sie fliegen 75 Ziele in Europa an. Die Angebote ab Frankfurt: London ab 25 Euro, Pisa 25 Euro, Perpignan 20 Euro. Wer billig abheben will, denkt an Ryanair. Dachte man selbst auch, buchte im Internet, Frankfurt-Hahn nach Perpignan, Südfrankreich. Und zahlte 123,82 Euro für Hin- und Rückflug. Es geht noch billiger - mit etwas Glück. Aber dazu später.

10.35 Uhr, neben dem Glascontainer. Ein Reisebus fährt ein. Die Achseln sind feucht, aber man ist nicht zu spät. Der Nicht-Frankfurter mag staunen ob dieser Eile, viereinhalb Stunden vor Abflug in Frankfurt, genauer Frankfurt-Hahn. Hahn im Hunsrück: das erste Opfer, das man bringt. Hahn hat mit Frankfurt nichts zu tun, liegt 120 Kilometer entfernt, eindreiviertel Stunden Busfahrt, bis man zum "Frankfurter" Ryanair-Flughafen gelangt. Man hätte auch den folgenden Bus nehmen können, knapp drei Stunden vor Abflug - ein Stau, und man hätte den Check-in versäumt: 30 Minuten vor Abflug.

Frech ist Ryanair, dafür ist das Unternehmen bekannt. Auch sein Flughafen "Hamburg-Lübeck" liegt rund 80 Kilometer von der Elbstadt entfernt, in Lübeck eben. Solche Etiketten-Schwindel haben Ryanair-Chef Michael 0'Leary schon Klagen vom Nobel-Konkurrenten Lufthansa eingebracht. Wie seine ganze bissige Werbestrategie: Er vergleicht in Anzeigen Lufthansa mit Ryanair-Preisen. Aktueller Slogan: "Die Lufthansa zieht Sie aus bis auf die Unterhosen". In der Tat ist Ryanair schwer zu unterbieten. Ein "No frills"-Canier, "keine Mätzchen", spart an allen Ecken, um billig verkaufen zu können.

So starten die Maschinen von kleinen Flughäfen mit niedrigen Landegebühren wie London-Stansted, Boumemouth, Bergamo. Oder Hahn. Elf Euro kostet das Bus-Ticket dorthin. Der Busfahrer, ein wahrer Meister der Vollbremsung, bemüht sich um zügige Ankunft, überholt gerne auf der Bundesstraße, hupt fast so oft wie er blinkt. Das Publikum ist gemischt, weltgereiste Rucksäcke liegen auf der Ablage, eine Frau umklammert besorgt ihr Kind, vorne entfaltet jemand die Times.

Manche haben heute schon etliche Kilometer gefressen. Mimi, 23, Erzieherin aus Schweinfurt, rot getönt, ist mit der besten Freundin unterwegs: Tanja, 22, Industriekauffrau, rot getönt. Beide sind Last-Minute-erprobt, Türkei, Mallorca, Tunesien, "aber Ryanair ist schon arg billig". Der Preis: 136 Euro zu zweit nach London und eine Ochsentour zum Flughafen, die um 6.30 Uhr im Fränkischen begann.

Die Jagd nach dem Schnäppchen ist eine Kunst. Für die billigsten Preise sollte man mindestens 14 Tage vor Abflug buchen, und auch nicht für Termine an Freitagen und Sonntagen. Der Preis steigt mit der Zeit, manchmal binnen eines Tages, allerdings kann man kurz vor Abflug oft noch mal preiswert zuschlagen. Die billigste Urlaubsvariante wählt, wer sich zeitig den günstigsten Flug sucht und dann den Urlaub entsprechend der Flugtermine legt. Hin- und Rückflugtickets nach Perpignan gibt es für den Juni noch zu elf Euro. Steuern und Gebühren schrauben aber den gepriesenen Tarif hoch, 49,90 Euro sind's am Schluss.

Buchungen bietet Ryanair nur übers Telefon oder das Intemet an. Vertriebskosten und Reisebüroprovision: gespart. Bei der Telefonhotline sind die Tarife höher und das 0190-Gespräch kostet 45 Cent pro Minute. Ein Ticket gibt es nicht, sondern nur eine sechsstellige Kennzahl, mit der man am Flughafen die Bordkarte holt.

12.20 Uhr, Ankunft in Hahn. Man hat die sanften Hügel Rheinhessens hinter sich gelassen, die gewundenen Bächlein und die Baumärkte im Gewerbegebiet Simmem. Nun ist man angelangt am Hahn-Airport, Perle des Hunsrück: stacheldrahtumzäunte Bunker, sandgelbe Kasernengebäude, große Flugzeughangars und ein Tower wie aus einem Flugzeug-Katastrophenfilm der 70er. Der Flughafen war einst Stützpunkt der US-Airforce. Für Nicht-Busfahrer stehen mehr als 2500 Parkplätze bereit, ansonsten ist Hahn eine Baustelle: Für 13 Millionen Euro wird der Flughafen zurzeit umgebaut. Ryanair erhob ihn zum Drehkreuz: Wurden bisher nur London, Glasgow und Shannon angeflogen, kommen 2002 sieben weitere Ziele hinzu. 2001 starteten hier 400000 Ryanair-Passagiere, in diesem Jahr sollen es 1,2 Millionen werden.

Das Terminal wirkt da noch etwas zierlich: gerade mal turnhallengroß, spartanisch eingerichtet. Ein paar Abfertigungsschalter, Bänke, ein Cafe, zwei Kioske, Stände mit Last-Minute-Flügen, Autovermietungen - und als einzige Zierde steht in einer Ecke ein riesiger hölzerner Elch, warum auch immer. Keine langen Schlangen stehen vor den Schaltern. Die öffnen zwei Stunden vor Abflug, es wird flott abgefertigt. Bis dahin muss man sich selbst ums Gepäck sorgen, Schließfächer gibt es nicht. Die Flüge werden auf zwei Fernsehschirmen angezeigt, die Welt von Hahn aus gesehen: Stansted, Boumemouth, Perpignan, Pescara.

Man passiert die Sicherheitskontrolle. Beruhigend gründlich, hier wird nicht gespart. Die Metaildetektoren piepsen wie überall. Der Sicherheitsmann verströmt das Odeur harter Arbeit, tastet alles ab und rüttelt einem sogar an der Gürtelschnalle. Auf dem Rollfeld patrouillieren Grenzschützer mit Hunden. "Echte Schäferhunde", raunt eine Dame. Im Warteraum versammelt: die ganze weite Ryanair-Klientel, Mütter mit Kind, Anzugträger mit Laptop, Touristen mit Pils. Eine Schulklasse sitzt müde auf den Bänken. Den größten Anteil machen die Urlauber aus, doch auch die Zahl Geschäftsreisender nimmt bei Ryanair zu, 35 Prozent, geschätzt. Eine richtige Marktanalyse spart man sich.

Der Flug nach Perpignan hat Verspätung, 20 Minuten. Kein Problem. Es gibt keine Anschlussflüge zu verpassen, Ryanair bietet nur Direktflüge, rät gar davon ab, eigenhändig Anschlüsse zu buchen. Der Gast müsste jedes Mal ein- und auschecken und dafür mindestens drei Stunden zwischen den Flügen einplanen. Wenn der Anschluss weg ist, ist er weg, Ryanair haftet nicht für Verspätungen. Überhaupt, man ahnt es schon, sparen die Iren mit Entschädigungen. Fällt ein Flug aus, gibt es nur das Geld zurück, keine Hotel- oder Essensgutscheine.

Am Ausgang zum Rollfeld sammeln die Stewardessen die Bordkarten ein, Pappe in Folie, zum Wiederverwenden beim nächsten Flug. Die Damen sind in Mäntel gewandet, Modell Nonnentracht in Heimwerkerblau. Sie lassen beim Einchecken Kinder zuerst an Bord, "sehr freundlich, so was gibt's woanders nicht", lobt die Sitznachbarin später an Bord. Und preist die Disziplin der Mitflieger. Artig tippeln die Gäste in der Schlange zur schmalen Treppe am Flugzeug. Das steht wie geparkt frei auf der Rollbahn, weiß mit blauem Heck, keine jener Ryanairmaschinen, die ausschauen, als wurden sie von einem jamaikanischen Rastamann nach dem fünften Joint bemalt. Kein Rempeln und Stoßen unter den Passagieren, und dies, obwohl es bei Ryanair keine Sitzreservierungen gibt. Die Nachbarin ist begeistert: "Viele einfache Leute, aber sehr ordentlich", lobt sie, 53, Friseursalon-Inhaberin aus Frankenthal, reckt den Kopf und mustert die Mitflieger: "Doch: sehr viele einfache Leute hier". Sie selbst reiste bisher meist mit Iberia über Barcelona zum Ferienhaus an der spanischen Küste. Nicht, dass sie der Geiz gepackt habe, sie schiebt das Kinn nach oben: "Ich kann schon viel Geld ausgeben, ich kann aber auch sehr knauserig sein!" Auch eine eigene Dose Cola light hat sie mitgebracht. Der Herr in der Nebenreihe packt derweil seinen Wein aus, schraubt den Verschluss ab, füllt seinen Plastikbecher.

Zwar rumpeln auch bei Ryanair die Stewardessen mit Getränkewagen durch den Gang, doch Genuss kostet. Vorne ordert einer Champagner, als er den Preis erfährt, lässt er die Flasche zurückgehen. 12,50 Euro kostet der Piccolo, der Kaffee kostet 2,50 Euro und ein Sandwich 6,60. Dafür werden die Produkte freundlichst angepriesen, denn das Personal bekommt Provision auf den Bordverkauf, schiebt den Wagen durch den Gang und singt: "Telephone cards or aftershaves?"

"Wir sind ein junges Team. Ältere würden nicht so hart arbeiten wollen wie wir", erzählt ein Steward, 19. Im dunkelblauen Ryanair-Anzug schaut er aus wie ein Arbeiterkind bei der Konfirmation. Harte Arbeit heißt: auch im Terminal auszuhelfen, selbst zwischen den Flügen die Maschine zu reinigen, und dies in rasanten 20 Minuten. Dann heben die Maschinen schon wieder mit der nächsten Ladung ab. Mit den kurzen Bodenzeiten spart Ryanair am meisten. Geld verdient man in der Luft. Von Unordnung zeugt nur ein Gummibärchen, das als blinder Passagier vom letzten Flug unter dem Vordersitz liegt. Der junge Steward ist von ungestümer Freundlichkeit, fragt, ob der Flug gefällt, schäkert mit den Gästen, tätschelt einem schon mal die Schulter und streicht zum Abschied freundschaftlich über den Rücken.

Geborgenheit in den Lüften. Zumindest bei den Sicherheitsbestimmungen dürfte Ryanair nicht gespart haben, sie unterliegen europäischen Richtlinien. Die Wartung führt unter anderem die Konkurrenz durch: Lufthansa-Qualität. Weil Ryanair nur ein Fabrikat fliegt, kostet die Wartung weniger. Gerade wurden 100 neue Boeings 737-800 bestellt. Die irischen und britischen Piloten verdienen gut. "Irgendwo zwischen AeroLloyd und LTU-Niveau", sagt Georg Fongern, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. "In Deutschland werden jetzt aber Co-Piloten angeworben, zu Einstiegsgehältern von 14000 Euro im Jahr. Für die Bewerbung müssen sie noch 75 Euro Gebühr zahlen. Abzocke!" Zur Zeit sind 1000 freie Piloten auf dem Markt, Arbeitskräfte zum Sparpreis. Ryanair sucht noch 800 Piloten. Das Geschäft boomt: 130 Millionen Euro Gewinn machte das Unternehmen im Vorjahr, brachte über zehn Millionen Passagiere auf die billige Tour über den Kontinent. Tendenz steigend. Fongern schätzt, dass Billigflieger bald 25 Prozent des Marktes abschöpfen. Noch sind es fünf.

16.40 Uhr, Flughafen Perpignan, die Verspätung wurde wettgemacht. In zehn Minuten ist man in der Stadt, 4,50 Euro kostet die Fahrt mit dem Bus, die Abfahrtszeiten sind ungünstig. Die meisten Reisenden fahren direkt zum Bahnhof, um mit dem Zug weiter in die Pyrenäen zu reisen oder nach Barcelona. Das würde rund 30 Euro einfach kosten und die Gesamtreisezeit auf elf Stunden verlängern.

Also genießt man Perpignan mit seinen hochgeschossenen südländischen Häusern, den engen Gassen, durch die Hunde schleichen, die wohl alle miteinander verwandt sind, und dem Palast der Könige von Mallorca, die einst hier herrschten. Mindestens genauso berühmt ist der Bahnhof. Dort hatte Salvador Dali auf der Durchfahrt nach eigenem Bekunden eine "veritable öjaculation mentale", was am Bahnhof keine Spuren hinterließ, wohl aber bei Dali. Der nämlich malte daraufhin sein berühmtes Bild "Der Bahnhof von Perpignan", schließlich sei dieser auch das "Zentrum des Universums", wie Dali schrieb. Er war noch nie in Hahn.

(Frankfurter Rundschau vom 16.03.2002)


"Nonnentracht in Heimwerkerblau", hinten "Arbeiterkinder in Konfirmantenanzügen"
(Bild aus der Hunsrücker Zeitung vom 05.02.2002)
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